Der 18. März 1871

„Wir haben nur getan, was wir tun mußten;
der Aufstand ist durch nichts herausgefordert worden.“
H. Dufaure in seiner Rede gegen die Amnestie. Sitzung vom 13. Mai 1876

Die Ausführung war ebenso wahnsinnig wie der Gedanke selbst.
Am 18. März, morgens 3 Uhr, verteilten sich die Kolonnen nach allen Richtungen, zu den Hügeln von Chaumont, nach Belleville, ıns Faubourg du Bastille, ins Stadthaus, zum Platz St Michel, zum Luxembourg, ins 13.  Arrondissement, zum Invalidendom.  Der General Subielle marschierte mit zwei Brıgaden, ungefähr sechstausend Mann, nach dem Montmartre. Alles war still und öde. Die Brigade Paturel besetzte ohne Schwertstreiclı die Mühle von La Galette. Die Brigade Lecomte erreichte den Turm von Solferino und stieß nur auf einen einzigen Wachtposten, Turpin. Dieser fällte das Bajonett, die Gendarmen schlugen ihn nieder, eilten zu der Sperre in der Rue des Rosiers, stürmten sie und warfen die Wachen in die Keller des Turmes von Solferino. Um 6 Uhr war der Überfall ausgeführt. Überall waren die Kanonen gleicherweise überfallen worden. Die Regierung triumphierte auf der ganzen Linie und d’Aurelles schickte eine Siegesproklamation an die Zeitungen. Es fehlte nur an Pferden, um die Beute von der Stelle zu schaffen, Vinoy hatte daran kaum noch gedacht. Erst um 8 Uhr bespannte man einige Geschütze.

Unterdessen erwachten die Vorstädte. Die Läden wurden geöffnet, vor den Milch- und  Weinhandlungen sprachen die Leute leise, sie zeigten sich die Soldaten, die Mitrailleusen, die gegen die volksfreundlichen Stadtteile aufgeprotzt waren, und ein noch feuchtes, von Thiers und seinen Ministern unterzeichnetes Plakat an den Mauern. Dieses sprach von der Stockung des Handels, von den rückgängig gemachten Bestellungen, von den verscheuchten Kapitalien.

„Einwohner von Paris, in eurem Interesse ist die Regierung entschlossen, einzuschreiten. Mögen sich die guten Bürger von den schlechten sondern, mögen sie der öffentlichen Gewalt beistehen. Sie werden der Republik selbst einen Dienst leisten“

so sagten die Herren Pouyer-Quertier, de Larcy, Dufaure und andere Republikaner. Die Proklamation schloß mit einer Dezemberphrase:

„Die Schuldigen sollen der Gerechtigkeit überliefert werden. Die Ordnung muß vollkommen, augenblicklich, unzerstörbar hergestellt werden.“ –

Man sprach von Ordnung, das war ein Zeichen, daß Blut fließen sollte. Die Frauen gingen wie in unseren großen Tagen zuerst vor. Die vom 18. März, durch die Belagerung gestählt – sie hatten die doppelte Last des Elends getragen – warteten nicht auf ihre Männer. Sie umringten die Mitrailleusen und redeten die Stückführer an: „Das ist eine Schande was du da machst!“ Die Soldaten schwiegen. Hier und da sagte ein Unteroffizier: „Geht, gute Frauen, entfernt euch!“ Aber der Ton der Stimme war nicht rauh, sie blieben. Zu gleicher Zeit begab sich eine Handvoll Nationalgardisten zu dem Posten in der Rue Doudeauville. Dort fanden sie zwei Trommeln, welche nicht durchstochen waren, und schlugen Rappel.

Um 8 Uhr waren sie dreihundert Mann stark, Offiziere und Gardisten, und gingen den Boulevard Ornano hinauf. Unterwegs begegneten sie einem Peloton Soldaten vom 88. Regiment, die sie unter dem Ruf: „Es lebe die Republik““ mit fortrissen. Der Posten aus der Rue Dejean schloß sich ihnen an, und Soldaten und Gardisten erstiegen vermischt, die Kolben hoch, die Rue Muller, die zu den Hügeln führt, welche auf dieser Seite von der Mannschaft des 88. Regiments besetzt waren.

Als diese ihre Kameraden unter den Gardisten sahen,winkten sie ihnen zu kommen und gaben zu verstehen, daß sie freien Durchzug gestatten wollten. Der General Lecomte, der ihre Bewegung bemerkte, ließ sie durch Stadtsergeanten ersetzen und warf die Überläufer in den Turm von Solferino, wobei er sagte: „Eure Rechnung ist fertig.“ Die Stadtsergeanten feuerten einige Schüsse ab, die Gardisten antworteten. Plötzlich stürmten eine große Anzahl Nationalgardisten, die Kolben hoch,  sowie viele Frauen und Kinder auf der andern Seite von
der Rue des Rosiers herbei.

Der General Lecomte, ganz umringt, kommandierte dreimal Feuer. Seine Leute blieben regungslos. Gewehr bei Fuß; die Menge näherte sich, sie frateınisierten,Lecomte und seine Offiziere wurden verhaftet. Die Soldaten, die Lecomte soeben in den Turm gesclılossen hatte, wollten ihn niederschießen. Den Nationalgardisten gelang es, ihn herauszureißen und mit großer Mühe – denn die Menge hielt ihn für Vinoy — brachten sie ihn nach dem Château-Rouge, wo sich der Generalstab der Nationalgarde befand. Hier verlangte man von ihm einen Befehl zur Räumung der Hügel; er unterzeichnete ohne Besinnen.

(Dieser Befehl, welcher den Truppen einschärfte, inmitten der Nationalgarde zu defilieren, wurde von einem Kapitän mit dem Bleistift aufgesetzt. Lecomte schrieb ihn mit der Feder ab, ohne nur ein Wort daran zu ändern. Das Kriegsgericht hat diese Tatsache in Abrede gestellt, um diesen General, der so klein starb, herauszustreichen.)

Der Befehl wurde alsbald den Offizieren und Soldaten der Rue des Rosiers mitgeteilt. Die Gendarmen lieferten ihre Chassepots aus und riefen sogar: „Es lebe die Republik!“ Drei Kanonenschusse ın dıe Luft verkündeten die Wiedereinnahme der Hügel.

Der General Paturel, welcher die in der Mühle von La Galette genommenen Kanonen fortschaffen wollte, stieß in der Rue Lepic auf eine lebendige Barrikade. Das V0lk hielt die Pferde an, schnitt die Stränge ab, gewann die Kanoniere und brachte die Kanonen auf ihren Platz zurück. Auf der Place Pigalle ließ der General Sushielle auf die Menge feuern, die sich in der Rue Houdon angesammelt hatte. Die eingeschüchterten Jäger rissen ihre Pferde zurück und wurden ausgelacht. Ein Kapitän stürzte mit geschwungenem Säbel vorwärts, verwundete einen Gardisten und fiel, von Kugeln durchbohrt. Der General ergriff die Flucht. Die Gendarmen, welche hinter den Baracken das Feuer eröffneten, waren bald vertrieben. Der Kern der Truppen ging zum Volk über.

Auf den Hügeln von Chaumotnt, in Belleville, im Luxembourg., überall hatte sich das Volk geweigert, seine Kanonen zurückzugeben. Die Nationalgarde fraternisierte an der Bastille mit den Soldaten, als General Le Flô den Fehler machte, die Kanonen nehmen zu lassen. Plötzlich lag einen Augenblick lang großes Schweigen über dem Platz. Ein alter Mann mit bloßem Kopf schritt hinter einem Sarge, der vom Bahnhof Orléans herangetragen wurde. Ihm folgte ein langer Trauerzug. Victor Hugo brachte den Leichnam seines Sohnes Karl auf den Père Lachaise. Die Föderierten präsentierten die Gewehre und öffneten die Barrikaden, um den Ruhm und den Tod durchzulassen.

Um 11 Uhr hatte das Volk den Angriff auf allen Punkten niedergeschlagen, beinahe seine sämtlichen Kanonen bewahrt — die Bespannung hatte nur zehn Stucke weggebracht – und Tausende von Gewehren gewonnen. Alle Bataillone waren jetzt auf den Beinen, das Pflaster in den Vorstädten wurde aufgerissen.

Seit 11 Uhr morgens ließ d‘ Aurelles in den Quartieren des Zentrums vergeblich Rappel schlagen. Bataillone, die früher erztrochufreundlich gewesen waren, stellten keine zwanzig Mann beim Sammeln. Ganz Paris hatte sich beim  Lesen der Plakate gesagt: „Das ist der Staatsstreich.“ Mittags bliesen d‘ Aurelles und Picard Alarm:

„Die Regierung ruft euch auf, euren Herd, eure Familie, euer Eigentum zu retten. Einige Verirrte, die nur ihren geheimen Führern gehorchten, richteten die Kanonen, die den Preußen unterschlagen worden waren, gegen Paris.“ Da diese Juni-Reminiszenzen von 1848, diese  Beschuldigung der Frechheit gegen die Preußen, wirkungslos blieb, ließ sich das gesamte Ministerium vernehmen: „Man verbreitet das lächerliche Gerücht, die Regierung bereite einen Staatsstreich vor. – Die Regierung wollte und will ein aufrührerisches Komitee niederwerfen, dessen Mitglieder nur kommunistische Lehren aufstellen.“ – Dieser wiederholte Feuerlärm brachte im ganzen fünfhundert Mann auf die Beine. 1

Die Regierung hatte sich in das Ministerium für auswärtige Angelegenheiten geflüchtet, und gleich bei den ersten Unfällen gab Herr Thiers Befehl, alle Truppen auf dem Marsfeld zusammenzuziehen. Als er den Abfall der Nationalgarde des Zentrums sah, erklärte er, man müsse Paris räumen Mehrere Minister widersetzten sich und verlangten, man solle einige Punkte, wie das Stadthaus, die durch die Brigade Derroja besetzten Kasernen, die
Kriegsschule, halten und auf dem Trocadero Stellung beziehen. Aber der kleine Mann hatte ganz den Verstand verloren und wollte nur auf einen verzweifelten Entschluß hören. Le Flô, der auf dem Bastillenplatz hätte bleiben müssen, unterstützte ihn lebhaft. Es wurde beschlossen, daß die Stadt und sogar die südlichen Forts, welche die Preußen vor vierzehn Tagen zurückgegeben hatten, geräumt werden sollten. Gegen halb 4 Uhr defilierten die Volks-Bataillone vom Gros-Caillou mit Trommeln und Trompeten vor dem Gebäude, der Rat glaubte, er sei zerniert. 2

Herr Thiers verschwand über eine Seitentreppe und entfloh nach Versailles. Er hatte dermaßen den Kopf verloren, daß er auf der Sèvresbrücke den schriftlichen Befehl zur Räumung des Mont-Valérien gab. Zur Zeit, als er entfloh, hatten die revolutionären Bataillone noch gar keinen Angriff unternommen, noch keine einzige Administration besetzt. 3

  • 1 500 bis 600 Mann, sagte Herr Thiers; 14 Mann pro Bataillon, sagte Jules Ferry. Untersuchung über den 18. März.
  • 2 Herr Thiers sagte in seiner Untersuchung zuerst: „Man ließ sie defilieren“ und zwanzig Zeilen weiter unten: „Man warf sie zurück.“ Le Flô machte aus der Furcht des Rates kein Geheimnis. „Der Augenblick schien mir kritisch und ich sagte: Ich glaube, wir sind verloren, wir werden ausgehoben werden._- Und wirklich brauchten die Bataillone nur in den Palast zu dringen und wir wären alle bis auf den letzten Mann gefangen. Aber die drei Bataillone zogen schweigend vorüber.“ Bd. II. S. 80.
  • 3  Der Berichterstatter der Untersuchungskommission über den 18. März sagt: „Das Komitee zögerte nicht, sich am 18. März aller Administrationen zu bemächtigen.“ Dies ist, wenn nicht eine Lüge, um die Flucht des Herrn Thiers zu beschönigen, so doch zum mindesten einer der gröbsten Beweise von der Unwissenheit dieser Berichterstattung, welche die Kundgebungen vom 24.Februar einem „Befehl des Zentralkomitees“ zuschreibt.

Der Angriff vom Morgen hatte das Zentralkomitee eben so sehr überrascht wie ganz Paris. Am Abend zuvor war es wie gewöhnlich auseinander gegangen mit der Verabredung, sich am 18. abends 11 Uhr hinter der Bastille, in der
Schule der Rue Basfroi einzufinden, da die Place de la Corderie, stark von Polizei überwacht, keine hinlängliche Sicherheit mehr bot. Seit dem 15. hatte es durch die neuen Wahlen einige weitere Mitglieder erhalten und hatte ein Verteidigungskomitee ernannt.

Bei der Nachricht von dem Angriff eilten die einen in die Rue Basfroi, die andern bemühten sich, die Bataillone aus ihren Quartieren zusammenzubringen; Varlin ging zu diesem Zweck nach Batignolles, Bergeret, der kürzlich zum Legionschef ernannt worden, nach Montmartre, Duval zum Pantheon, Pindy ins dritte Arrondissement, Faltot in die Rue de Sevres, Ranvier und Brunel, welche nicht dem Komitee angehörten, rüttelten Belleville und das 10. Arrondissement auf.

Um 10 Uhr waren ein Dutzend Mitglieder beisammen, man bestürmte sie von allen Seiten mit Gesuchen und Fragen und führte ihnen Gefangene vor. Sichere Nachrichten kamen erst gegen 2 Uhr an. Sie stellten nun eine Art Plan auf, nach welchem die verbündeten Bataillone im Stadthaus zusammengezogen werden sollten und zerstreuten sich hierauf nach allen Richtungen, um die Befehle zu überbringen.

Die Bataillone waren auf den Beinen, aber sie marschierten nicht. Die revolutionaren Viertel, welche noch nichs von der Vollstandigkeit ihres Sieges wussten, fiirchteten einen erneuten Angriff, verbarrikadierten sich in Eile und blieben auf der Stelle. Niemand verließ den Montmartre, der einem ungeheuren Ameisenhaufen glich und von ankommenden Gardisten und zerstreuten Soldaten wimmelte, für welche man Nahrungsmittel sammeln mußte, da sie seit dem Morgen gefastet hatten. Gegen halb vier Uhr erhielt das Aufsichtskomitee, das in der Rue Clignancourt eingesetzt war, die Nachricht, daß der General Lecomte in großer Gefahr sei.

Eine große Menge, hauptsächlich aus Soldaten bestehend, hielt das Chateau-Rouge umringt und verlangte die Auslieferung des Generals. Die Mitglieder dieses Komitees, Ferre, Bergeret, Jaclard, schickten dem Kommandanten. von Chateau-Rouge unverzüglich den Befehl, über den Gefangenen, welcher dann abgeurteilt werden sollte, zu wachen. Als dieser Befehl ankam, war Lecomte schon fort.

Lecomte hatte wiederholt verlangt, vor das Zentralkomitee geführt zu werden. Die verantwortlichen Wachen, die durch das Geschrei sehr beunruhigt waren, wollten sich der Verantwortung entziehen. Da sie glaubten, das Komitee befinde sich in der Rue des Rosiens, so beschlossen sie, den General und seine Offiziere dahin zu führen. Gegen 4 Uhr kamen sie dort an, inmitten einer furchtbar aufgeregten Menge. Gleichwohl legte niemand Hand an sie. Der General wurde in einem kleinen Parterrezimmer unter Aufsicht gehalten. Man brachte die Offiziere in die erste Etage, wo sie schon viele ihrer Kameraden wieder trafen. Hier begannen dieselben Auftritte wie im Chateau-Rouge, die erbitterten Soldaten forderten den Tod des Generals. Die Offiziere der Nationalgarde machten unerhörte Anstrengungen und ermahnten die Menge, auf das Komitee zu warten. Auf wen?

Das Komitee befand sich am anderen Ende von Paris. Das Komitee aus der Rue des Rosiers war überall zerstreut. Die einen befanden sich im Komitee de Vigilance von der chaussee Clignancourt, die anderen auf der Bürgermeisterei, wo der Kommandant Dardelles und Raoul Rigault, Paschal Grousset, mit dem Bürgermeister Clemenceau diskutierten. Der Bürgermeister war mit dem, was geschah, sehr unzufrieden. Aber das Wort des Komitees hatte eine magische Kraft. Man entschloß sich dazu, Wachen aufzustellen und die Aufgeregten ein wenig zu beruhigen.

Noch war kein Miglied dieses Komitees zur Stelle, als um halb fünf Uhr in der Straße ein donnerndes Getöse erscholl und ein weißbärtiger Mann, von einer Menschenmenge geschleudert, gegen das Haus flog. Dies war Clement Thomas, der Junischlächter, der die revolutionären Bataillone beschimpft hatte. Er war auf der Chaussee des Martyrs beim Besichtigen der Barrikaden erkannt und ergriffen worden.

Offiziere der Nationalgarde, Herpin-Lacroix, ein Garibaldischer Kapitän,und Franktireurs versuchten die todbringende Menge aufzuhalten und wiederholten tausendmal: „Wartet doch auf das Komitee! Bildet ein Kriegsgericht!“ Aber sie wurden mit Rippenstößen weggedrückt. Clement Thomas wurde wieder ergriffen und in den kleinen Garten beim Hause gestoßen; zwanzig Schüsse streckten ihn nieder. Während er starb, brachen die Soldaten durch die Fenster in das Zimmer des General Lecomte ein, stiirzten sich auf ihn und schleppten ihn in den Garten.

Dieser Mann, der am Morgen dreimal Feuer kommandiert hatte, weinte, flehte und sprach von seiner Familie. Ein Stoß schleuderte ihn gegen die Mauer, er fiel von Kugeln durchbohrt. Nachdem diese Repressalien vollzogen waren, legte sich der Zorn. Die Menge ließ die Offiziere von der SuiteLecomtes nach Château-Rouge zurückführen, und bei sinkender Nacht wurden sie in Freiheit gesetzt.

Während dieser blitzartigen Exekution brach auch das Volk, das lange unbeweglich geblieben war, los. Brunel umringte die „Kaserne des Prinzen Eugen“, welche durch das 120. Linienregiment besetzt war. Der Oberst, den ungefähr hundert Offiziere umgaben, wollte sich in Positur werfen; Brunel ließ alle zusammen verhaften. Zweitausend Chassepots fielen dem Volk in die Hände. Brunel setzte durch die Rue du Temple seinen Marsch nach dem Stadthaus fort.

Um 5 Uhr wurde die Nationaldruckerei besetzt. Um 6 Uhr drang die Menge mit Axthieben auf die Türen der Kaserne Napoleon ein; aus der Kaserne wurde eine Salve abgefeuert und warf drei Menschen nieder. Aber die Liniensoldaten gaben aus den Fenstern der Rue Rivoli Signale und riefen: „Die Gendarmen haben geschossen. Es lebe die Republik!“ Gleich darauf öffneten sie die Tore und ließen sich ihre Gewehre wegnehmen. 1

Um halb acht Uhr war das Stadthaus beinahe ringsum eingeschlossen. Die Gendarmen, die es besetzt hielten, entflohen durch das Erdgeschoß der Kaserne Lobau. Gegen halb neun Uhr machten sich Jules Ferry und Vabre, von ihrer Mannschaft im Stich gelassen und ohne Weisungen seitens der Regierung, gleichfalls davon. Gleich darauf rückte die Kolonne Brunel auf dem Platz vor und ergriff vom Gemeindehaus Besitz, in welchem Ranvier gleichzeitig von den Quais her eintraf.

Unaufhörlich strömten noch die Bataillone herzu. Brunel ließ in der Rue de Rivoli und auf den Quais Barrikaden errichten, bespickte die Zugänge, verteilte die Wachtposten und sandte starke Patrouillen aus. Eine derselben umstellte die Bürgermeisterei des Louvre, wo die Bürgermeister berieten, und hatte beinahe Ferry festgenommen, der durch ein Fenster floh. Die Bürgermeister kamen auf der Bürgermeisterei der Börse wieder zusammen.

Sie hatten sich, sehr bestürzt über diesen unsinnigen Angriff, schon während des Tages mit vielen Adjunkten versammelt und warteten auf Erklärungen und Anweisungen. Gegen 4 Uhr schickten sie eine Delegation an die Regierung. Herr Thiers war schon entwischt, Picard wies sie zurück, d‘ Aurelles lehnte jede Verantwortung von sich ab und schob die Schuld auf die Advokaten. Als es Nacht wurde, mußte man endlich nach einer Klärung suchen. Die Föderierten umringten schon das Stadthaus und besetzten den Vendomeplatz, wo Varlin, Bergeret und Arnold mit den Bataillonen von Batignolles und Montmartre eingerückt waren.

Vacherot, Vautrain und einige andere Reaktionäre von reinstem Wasser sprachen vom Widerstand um jeden Preis, als ob sie eine Armee hinter sich hatten. Andre waren vernünftiger und suchten nach einem Ausweg. Sie glaubten, die Ruhe wieder herzustellen, indem sie Edmond Adam, der sich gegen die Juniinsurgemen ausgezeichnet hatte, zumPolizeipräfekten, und Langlois, einen halb verrückten Proudhonianer, zum General der Nationalgarde ernannten. Dieser hatte früher der Internationale angehört, war am 31. Oktober morgens mit der Bewegung, abends gegen sie gegangen, und hatte für eine Schramme, die er beim Gestikulieren in Buzenval empfing, ein Deputiertenmandat erhalten.

  1. 1 Vinoy hat die Frechheit, in seiner Schrift: „Der Waffenstillstand und die Kommune“ zu behaupten: „Der General versammelte seine Mannschaft und stellte sich mit gezogenem Degen mutig an die Spitze seiner Soldaten.“ Sollte man nicht glauben, er habe die Reihen durchbrochen?

Die Delegierten legten Jules Favre diese geistreiche Lösung vor, der sie rundweg mit den Worten abschlug: „Man unterhandelt nicht mit Mördern.“ Durch diese Komödie wollte er nur die Räumung von Paris rechtfertigen, die er den Bürgermeistern noch verheimlichte. Während dieser Konferenz kam die Nachricht, daß Jules Ferry das Stadthaus verlassen habe. Der andere Jules spielte den Erstaunten und gab den Bürgermeistern den Auftrag, die Ordnungsbataillone als Ersatz für die verschwundene Armee zu sammeln.

Empört über diesen schlechten Witz, gedemütigt, daß man sie ganz von allem Vertrauen ausschloß, begaben sie sich zurück. Wenn sie einigen politischen Mut besessen hätten, so wären sie geradeswegs auf das Stadthaus gegangen. Sie beratschlagten aufs neue in ihrem Amt. Endlich um 1 Uhr nachts ließ ihnen Picard sagen, sie könnten ihren Lafayette absenden, worauf sie alsbald Langlois nach dem Stadthaus schickten.

Von zehn Uhr an hatten sich einige Mitglieder des Zentralkomitees versammelt, die aber im allgemeinen noch sehr ängstlich und unentschlossen waren. Keiner hatte geahnt, daß ihnen eine so schwere Macht auf die Schultern gelegt werden würde. Einige weigerten sich, im Stadthaus Sitzung zu halten. Man beratschlagte und kam überein, daß man nur so lange als unerläßlich, höchstens zwei bis drei Tage da bleiben wollte, um die Wahlen vorzunehmen.

Unterdessen mußte man sich gegen den Widerstand rüsten. Lullier war anwesend und hatte eben einen seiner lichten Momente. Er rannte um das Komitee herum, versprach an alles zu denken und berief sich auf die Abstimmung von Vauxhall. Er hatte bei den Ereignissen des Tages gar keine Rolle gespielt.1 Gleichwohl war man so unklug, ihn zum Kommandanten zu ernennen, nachdem Brunel, der vom frühen Morgen an so viel geleistet hatte, schon im Stadthaus eingezogen war.

Um drei Uhr meldete sich Lulliers Konkurrent. Er war seiner Sache so gewiß, daß er schon seine Proklamation an den Officiel geschickt hatte. „Wer sind Sie?“ fragten ihn die Schildwachen. „General der Nationalgarde“, antwortete Langlois. Einige Deputierte von Paris, darunter Lockroy und Cournet, begleiteten ihn. Das Komitee ließ sich herbei, sie zu empfangen. „Durch wen sind Sie ernannt?“ wurde Langlois gefragt. „Durch Herrn Thiers.“ Diese Zuversicht eines Verrückten entlockte den Mitgliedern ein Lächeln. Als er mit seinen Begleitern von den Rechten der National-Versammlung sprechen wollte, rückte man ihm auf den Leib: „Erkennen Sie das Zentralkomitee an?“ — „Nein.“ — Er zog ab und rannte seiner Proklamation nach.

  • 1 Zehn Tage später behauptete er jedoch, er habe alles ausgeführt, er habe das Stadthaus, die Polizeipräfektur, den Vendomeplatz. die Tuilerien eingenommen usw. Dies alles erzählte er in einem verrückten Brief, den er aus der Conciergerie schrieb und der von dem Berichterstatter der Untersuchung über den 18. März als Autorität aufgenommen wurde.
    Ich will mich hier nicht darauf einlassen, alle Irrtümer hervorzuheben, von denen dieser Bericht wimmelt. Derselbe ist ein unwissender und gehässiger Auszug sämtlicher Unrichtigkeiten und Feindseligkeiten in dieser Untersuchung, aus welchem alle Zeugnisse der Besiegten und selbst der gemäßigtesten Gegner ausgeschlossen sind. Durchaus ungenügend als Quelle, ist er dagegen trefflich geeignet, die Moralität und die Intelligenz der französischen Großbourgeoisie dieser Epoche zu kennzeichnen.

Die Nacht verlief ruhig — eine für die Freiheit tödliche Ruhe. Durch die südlichen Tore dirigierte Vinoy seine Regimenter, seine Artillerie, seine Bagage nach Versailles. Die zersprengte Mannschaft schleppte sich mühsam nach und beleidigte die Gendarmen.1 Der Generalstab hatte, seinen Überlieferungen getreu, den Kopf verloren und drei Regimenter, sechs Batterien und sämtliche Kanonenboote, die man nur hätte ins Wasser zu setzen brauchen, in Paris zurückgelassen. Die geringste Kundgebung seitens der Föderierten hätte diesen Auszug aufgehalten. Statt jedoch die Tore zu schließen, überließ der neue Kommandant der Nationalgarde — er hat sich dessen später gerühmt — sämtliche Ausgänge der Armee.

  • 1 Untersuchung über den 18. März. Bd. II. S. 200.