Wie jedes Jahr am heiligen Tag des März
Stieg ich aus unserem alten Grab auch heute
Und keine Fahne weht? Und allerwärts
Ein Schweigen nur. Und drohendes Geläute.
Bist du denn tot, Paris? Wo schlägt dein Herz?
Auf leeren Plätzen wühlt der Frühlingswind.
Entfacht er nirgends einer Fahne Feuer?
Ich fragte einen, wo die Menschen sind.
Der sah sich um und sprach: „Dein Wort ist teuer!
Komm weiter, Freund, Paris ist nicht geheuer!
Sie machen Krieg, die Herrn! Doch nicht die Bomben,
Ihr eigenes Volk hat sie in Angst gebracht.
Drum zeigen schamlos nackt sie ihre Macht.
Die Freiheit flüstert nur in Katakomben.
Nie war so feig Verrat und Niedertracht.”
Der Mann verschwand. Ich schaut in einen Saal.
Da hingen Fahnen in verschoss’nen Farben;
Doch unsre Fahne nicht, für die wir starben.
Und sieh, da saß Bankier und General
Die zweimal in Versailles das Land verdarben.
Wer hat dich so verraten, mein Paris!
Wer hat dir zugesetzt, dich auszuliefern
Den neuen Thiers und Favres und Trochus,
Daß du der Freiheit Saat zerfressen ließt
Von wiederausgeschlüpften Ungeziefern?
Die gleichen sind es, die dich niederwarfen
In deine StraBen schossen aus Palais
Noch gestern klimperten die Freiheitsharfen
Wie heut die Ketten; nur in neuen Larven
Die alten Cavaignacs und Galliffets!
So hat man dich zum drittenmal verraten,
Entehrt und heimgesucht von fremder Brut.
Wann endlich stellt ihr vor Gericht, Soldaten,
Die Bourgeoisie und ihre Advokaten?
Paris, wann rächst du endlich unser Blut?
Erich Weinert, 1941