Das Lied von der Roten Fahne

Wenn das Volk aus Kellern und Schächten
Aufstand, aus den Kasernen des Tods,
Stand sie über den rauchenden Nächten,
Erste Flamme des Morgenrots.
Uber Straßen und Plätzen
Rief sie das Volk zum Appell,
Uber Blut und Entsetzen
Stand sie verkündend und hell.

In das Kampflied der Arbeitergarden
Brauste sie ihren Feuerfluch.
Uber den Särgen der Kommunarden
Lag sie, ein blutendes Leichentuch.
Doch sie erhob sich wieder
Uber Vernichtung und Pest,
In den Herzen der Brüder
Feuriges Manifest!

Immer wieder im Kampf sich erneuernd,
Rief sie die Massen zum Widerstand.
Immer den Schritt des Aufruhrs befeuernd,
Ging sie im Kampfe von Hand zu Hand.
Oft zertreten, zerschossen,
Fiel sie in Blut und Dampf.
Aber die letzten Genossen
Trugen die Fetzen zum Kampf.

Ein Volk hat sie zum Sieg getragen,
Das ein Sechstel der Erde bewohnt,
Hat die Schänder des Rechts erschlagen,
Hat die Feinde des Volks entthront.
Und von seinen Bastionen
Flammt die Fahne ins Land
Der erwachten Millionen,
Die ihre Götzen verbrannt.

Das ist das Lied von der roten Fahne,
Das den entbrennenden Morgen verkündet,
Das über Länder und Ozeane
Aller Bedrängten Herzen entzündet.
Einmal, nach all den Stürmen,
Wenn sich die Blutnacht erhellt,
Rauscht sie von alen Türmen
Einer eroberten Welt!

Erich Weinert, 1928