Pariser Kommune (Meyers g.K.1908, Paris)
Wörterbuch | 1908
Kommune von Paris (Pariser Kommune), Bezeichnung für die revolutionären Gegenregierungen in Paris zur Zeit der großen Revolution und besonders am Ausgang des deutsch-französischen Krieges 1870/71. Indessen war die Kommune von 1792 nicht das erste Beispiel, daß die Pariser Stadtverwaltung eine revolutionäre Stellung im Staat einnahm.
Schon 1357 und 1358 beherrschte der Pariser Bürgermeister Etienne Marcel monatelang das Reich vermittelst der vorzüglich organisierten und bewaffneten Pariser Kommune. 1411 erlangte der Pariser Pöbel, militärisch geordnet, eine maßgebende Stellung unter dem Fleischer Caboche und dessen Anhängern, den Cabochiens. Die Pariser Kommune von 1792 war eine ungeregelte Schreckensherrschaft, womit der Pariser Gemeinderat auf den Konvent drückte. Die revolutionäre Kommune begann mit dem Aufstand vom 10. Aug. 1792 und übte seitdem einen immer steigenden Einfluß aus, den sie dazu verwandte, einerseits vermittelst von ihr aufgenommener Anleihen billige Nahrungsmittel zu verteilen, anderseits die ihr feindlich gesinnten Girondisten aus dem Konvent zu verdrängen. Als ihr dies 2. Juni 1793 gelungen war, stand sie auf dem Höhepunkt ihrer Macht, die nach dem gewaltsamen Tode von Marat, Hébert und Chaumette allmählich zurückging, aber erst mit Robespierres Sturz (9. Thermidor, 27. Juli 1794) völlig gebrochen wurde.
An diese Zustände knüpfte die Kommune von 1871 geistig an. Ein Bündnis der großen Städte Frankreichs sollte die Grundgestalt des politischen Daseins bilden, um so die Unterdrückung der städtischen Elemente durch das platte Land unmöglich zu machen. Paris wollte sich so ziemlich als selbständigen Staat konstituieren und nur in den unumgänglich gemeinsamen Angelegenheiten föderative Verbindungen eingehen. Dies waren die leitenden Gesichtspunkte der Kommunalisten, die sich aus den gebildetern Klassen rekrutierten. Ihnen standen die Proletarier als Kommunisten gegenüber, die ihr Augenmerk auf die Umwälzung der Eigentumsverhältnisse richteten. Der innere Kampf zwischen den Kommunalisten und Kommunisten bildet die verworrene Geschichte der Pariser Kommune (s. Paris), die am 18. März 1871 mit der Erhebung der Nationalgarde und der Ermordung der Generale Thomas und Lecomte begann und Ende Mai nach heftigen, blutigen Kämpfen unterdrückt wurde; 6500 Kommunarden wurden 20. bis 30. Mai getötet, 38,578 verhaftet.
Im gleichen Lexikon unter dem Stichwort: Paris
Die Verlegung des Regierungssitzes nach Versailles und die monarchistisch-reaktionären Bestrebungen der Mehrheit der Nationalversammlung erregten den Unwillen der ohnehin mißgestimmten Bevölkerung von Paris, und zumal die Mehrheit der Nationalgarde gebrauchte die ihr gelassenen Waffen gegen die Regierung. Am 9. März bildete sie auf dem Montmartre ein Zentralkomitee der Nationalgarden, das dort 417 Kanonen aufpflanzte und die freie Wahl aller Offiziere sowie Fortbezug des Tagessoldes verlangte.
Der Versuch des Generals Vinoy, 18. März den Montmartre zu besetzen und die Kanonen der Nationalgarde zu entreißen, mißglückte; die Generale Lecomte und Thomas wurden erschossen, und das Zentralkomitee nahm vom Stadthaus Besitz, worauf die Regierung und die Linientruppen unter Vinoy 19. März P. und die südlichen Forts räumten und sich nach Versailles zurückzogen. Das Zentralkomitee ordnete für 26. März die Wahl einer Kommune an, die durch die Wahlen vom 26. März bestätigt wurde und die Umwandlung Frankreichs in eine Eidgenossenschaft unabhängiger Stadtrepubliken mit einer Delegation als gemeinsamer Regierung, ohne Klerus, Beamtentum, stehendes Heer und Hauptstadt proklamierte.
Allein die Aufstände in der Provinz wurden unterdrückt, die Kommune auf P. beschränkt, das im Westen und Süden von einer eiligst zusammengezogenen französischen Armee unter Mac Mahon zerniert wurde, während im Osten und Norden die Deutschen die Forts besetzt hielten. Die Exekutivkommission der Kommune anderseits herrschte mit rücksichtslosem Terrorismus, unterdrückte die Presse, zwang die Bürger zum Kriegsdienst und beschaffte sich die nötigen Gelder (52 Mill.) durch Konfiskation der öffentlichen Kassen und durch Erpressungen bei Instituten und Privaten. Das Haus Thiers‘ und die Vendômesäule wurden zerstört, der Erzbischof Darboy und mehrere andre Personen als Geiseln verhaftet.
Im Kampfe gegen die Versailler Armee erwiesen sich die Streitkräfte der Kommunarden nicht als ausreichend. General Douay rückte 21. Mai durch die Pforte St.-Cloud in P. ein; die übrigen Versailler Truppen folgten 22. Mai. Während diese 24. Mai in fünf Kolonnen konzentrisch auf das Stadthaus vorrückten, ließ die Kommune die Geiseln erschießen und die öffentlichen Gebäude in Brand stecken. Die Tuilerien, das Finanzministerium, die Polizeipräfektur, das Stadt haus u.a. brannten nieder. Nach blutigem Kampfe wurde eine Barrikade nach der andern von den Regierungstruppen genommen und über die gefangenen Kommunarden sofort ein blutiges Strafgericht verhängt. Am 29. Mai ergaben sich die letzten Insurgenten in Vincennes. 38,000 Kommunarden, darunter aber nur 9000 Pariser, wurden gefangen genommen und nach Versailles gebracht, wo einige Rädelsführer zum Tode, mehrere tausend zur Deportation verurteilt wurden; 6500 waren gefallen. Hierauf wurde die Stadt entwaffnet und die Nationalgarde aufgelöst.
Die Wunden, die der Krieg und der Kommuneaufstand geschlagen, wurden rasch geheilt, die zerstörten Gebäude, mit Ausnahme der Tuilerien, wieder aufgebaut. Durch die Verlegung der Regierung und der Kammern von Versailles nach P. 1879 wurde es auch wieder politische Hauptstadt Frankreichs. Von dem überraschenden Aufschwung des Gewerbes und Handels gaben die Weltausstellung von 1878 und besonders die von 1889 und 1900 glänzendes Zeugnis. Stets zur Opposition geneigt, begünstigte die Pariser Bevölkerung eine Zeitlang den Boulangismus, gab ihn aber schon 1890 auf. Seitdem schwankt sie zwischen Nationalismus und Radikalismus, bald dem einen, bald dem andern die Mehrheit in der Stadtvertretung gewährend.
Quelle: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 15. Leipzig 1908, S. 438-449.