Bürger! Ihr habt eine in der Geschichte beispiellose Revolution gemacht. Eure Revolution vom 18. März hat einen besonderen Charakter, der sie von anderen unterscheidet. Ihre neuartige Größe besteht darin, dass sie ganz vom Volke ausgeht, ganz kollektiv und kommunal ist… eine Revolution der Teilhaber, anonym, einstimmig und zum ersten Mal ohne Geschäftsführer.
Keine persönliche oder individuelle Angelegenheit! Weder Überfall, Handstreich, Attentat noch Staatsstreich!… Ein Werk, geschlossen und stark wie seine Schöpfer, das Volk.
Eine natürliche, spontane, weder erzwungene noch verfälschte Macht, die aus dem öffentlichen Bewusstsein entsprungen ist, aus der Masse des gemeinen Volkes, die provoziert, angegriffen und in den Stand der legitimen Verteidigung versetzt war; eine Macht, die nichts dem Einfluss großer Namen, der Autorität der Berühmten, dem Ansehen der Führer oder den Ränken der Parteien schuldet, sondern die alles dem Recht verdankt.
Die Regierung des Volkes durch das Volk und für das Volk; Eure Regierung.
Alle seine Mitglieder sind unbekannt: dieser Mangel ist ihr Vorzug. Welcher bekannte Name hätte in seinem Lichtkreis 220 Bataillone der Nationalgarde vereinigt? Welcher Parteichef hätte ganz Paris in seine Bahn gezogen?
Die Strahlen der Gestirne sind sich im Wege; die Leidenschaften der Parteichefs heben sich gegenseitig auf.
Die Unbekannten können allein aus reiner Liebe zur Pflicht handeln, ohne Anmaßung und Ausschließung; sich verstehen und für die gemeinsame Aktion zusammenschließen: unsterbliche Werke wie das Zwölftafelgesetz (Älteste Aufzeichnung des römischen Rechts auf 12 verlorengegangenen Tafeln.) stammen von unbekannten Schöpfern.
Diese neue Revolution, diese junge Macht, diese ursprüngliche und erneuernde Kraft unseres alten Frankreich, vor der jeglicher Hochmut zerbricht, die jeden Namen bescheiden und jedes Genie klein erscheinen läßt, diese Regierung flößt mir ein solches Vertrauen durch die Kraft ihrer Taten ein, dass ich mich schon fast als ihr Mitglied fühle… Aber wozu? Ein Lob von ihr genügt, um mich in Verlegenheit zu bringen; lieber möchte ich ihr sagen, das sie fast einen Fehler beging, als sie berühmten Namen allzu große Aufmerksamkeit schenkte.
Sie hat einen Augenblick vor der Autorität der Berühmten gezögert, die sie zur Autorität der Herzöge zurückgeführt hätte. Zum Glück ist sie von ihrem Irrtum abgekommen; und ohne weiter zu zögern, ruft sie Euch heute an die Wahlurnen! Geht hin! Es ist besser zu wählen als zu töten! Heute die Wahl! Wenn nicht, morgen das Gewehr! Und wann das Werkzeug?
Die Royalisten, unfähig, Frankreich zu retten, sind fähig, Paris aufzugeben, um die Republik zu töten. Sie haben Frankreich zerstückelt; sie haben es enthauptet. Freunde des Feindes gegen die Patrioten, Verbündete der Preußen gegen die Pariser. Wie gehabt. Dieselben Männer, derselbe Hass! Alte Spießer gegen verbrauchte Kämpfer, die Bank gegen die Kommune, die Reaktion gegen die Revolution. Allein das einstimmige, eindrucksvolle, überwältigende Wahlergebnis kann den Kampf verhindern und die Arbeit garantieren. Keine Enthaltung!
Entgegen der verwöhnten Jugend von 71 rufe ich Euch, Söhne der Sansculotten von 92, wie Desmoulins zu: „Wähler, an Eure Urnen!“ Oder wie Henriot: „Kanoniere, an Eure Geschütze!“
Félix Pyat
in: Materialien zur Pariser Kommune 1871 (Heft 3, S. 25/26)