Die Uraufführung des musikalischen Romans „Louise“ im Jahr 1900 an der Pariser Opéra Comique war ein überwältigender Erfolg. Die Oper erlebte am selben Haus bis 1956 eintausend Aufführungen und wurde weltweit zu einer der meist gespielten Opern in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Dennoch war das heute nahezu vergessene Werk nicht unumstritten. Gegner bezeichneten es als ordinär, da es im naturalistischen Geist Émil Zolas und entgegen der gängigen Operntradition gewöhnliche Menschen und Arbeiter auf die Bühne brachte.
Charpentier erzählt mit dem in einer Mischung aus Umgangsfranzösisch und Pariser Jargon selbst verfassten Libretto die Geschichte der jungen Näherin Louise, die an der Enge und Reglementiertheit ihres Elternhauses leidet. Sie will mit ihrem Geliebten, dem Dichter Julien, leben, ihr Recht auf Freiheit einfordernd. Trotz aller Versuche der Eltern, die Tochter bei sich zu halten, verlieren sie das Mädchen an Julien und an Paris: für die Eltern das neue Babylon, für Louise Plattform ihrer Zukunftshoffnungen.
Was auf den ersten Blick wie ein lokaler Hymnus auf die Weltmetropole Paris erscheint, offenbart sich mehr und mehr als der Wunschtraum einer unglücklichen jungen Frau, in dem sich die Realität zu einer aus Emotionen, Hoffnungen und unterschiedlichen Zeitebenen überhöhten Wirklichkeit wandelt. Nicht umsonst hat Alma Mahler den Komponisten als einen der ersten Surrealisten bezeichnet. Auch für sie war „Louise“ mit ihrer von Richard Wagner und Jules Massenet beeinflussten Musik eine Mixtur aus Realismus und Fantasie, in der die Grenzen zwischen Sehnsucht und Erlebtem immer wieder verschwimmen.
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Gustave Charpentier (1860 – 1956)
LOUISE
Roman musical in vier Akten
Text vom Komponisten