Der Wächter steht auf Issys Walle
Und schaut zur Weltstadt ernst hinab,
Die in des Morgennebels Balle
Liegt stumm und schweigend wie ein Grab.
Doch keine Ruhe deckt das Schweigen,
Geschäftig schmückt zum Hochzeitsreigen
Sich dort Paris, die Totenbraut.
Es findet sie im Waffenglanze,
Gerüstet zu dem letzten Tanze,
Der Morgen, der im Osten graut.
Und hoch, wie eine Donnerwolke,
Entrollt das rote Banner sich.
Es fliegt voran, voran dem Volke.
Noch keiner von dem Banner wich.
Stets eilten sie, mit festem Willen
Bereit, die Breschen auszufüllen
Die schon der Feinde Eisen schlug.
Die Menschenleiber statt der Steine —
Fest sind die Mauern. Sinket eine,
So rückt die andre ruhig nach
Und nirgends Weinen, nirgends Klagen
Und nirgends Todesfurcht und Graun,
So munter wie in Friedenstagen
Des Proletariers Blicke schaun.
Nur Waffenglanz an allen Enden,
Die Flinte selbst in zarten Händen,
Die Schwerter blinkend hell und frei,
Und, singend die Marseiller Weise,
Der Knabe, wettend mit dem Greise,
Errichtet Barrikaden neu.
Es ist Paris, es ist das alte,
Das einst den starren Bann zerriß
Wo Bourbons Todesschrei verhallte,
‘s ist das rebellische Paris.
Ha, Marats Geist schwebt um die Fahnen,
Die Trommeln wecken Dantons Manen,
Es kocht die Flut der Rebellion!
Die alten Helden sind es wieder,
Die freien gleichen Waffenbrüder:
So war es Dreiundneunzig schon
Und rings herum in weiten Kreisen
Die Feinde all, bereit zur Tat;
Vieltausend Feuerschlünde weisen
Hin nach Paris dem Tod den Pfad,
Es lauern rings herum die Geier
Schon auf die blut’ge Leichenfeier,
Es rüstet alles sich zum Mord.
Die Orleans und die Bourbonen —
Horcht, horcht! Schon grüßen die Kanonen
Die Bonaparte lauern dort
Mit Macht beginnt die Kanonade.
Wer hart darauf? ‘s ist Alltagsspiel.
Es schmettert zündend die Granate.
Man achtet darauf heut nicht viel.
Doch was ist das? Wo sind die Wachen?
Wer liefert uns in Feindes Rachen?
Seht da die Porte von Saint Cloud!
Das sind die Krieger von Versailles —
„Auf Kameraden, zur Bataille!
Verrat, Verrat!” ruft man sich zu.
Der Feind! Der Feind ist eingedrungen,
Der Feind ist endlich in der Stadt,
Nun ist das Henkerbeil geschwungen,
Die letzte schwere Stunde naht.
Wie die Lawine, die im Rollen
Wächst riesenhaft im Lauf, im tollen
Bis sie verschüttet Dorf und Tal
So füllen Plätze sich und Gassen
Urplötzlich hier mit Söldnermassen
Im Handgemenge zuckt der Stahl
Die letzte Sitzung der Kommune
Tagt noch im Stadthaus, als ein Schuß
Von außen trifft die Rednerbühne
Verlangend der Debatten Schluß.
Und man versteht die rauhen Grüße
Es spricht der edle Delescluze:
„Jetzt, Volkstribunen, zeiget Mut!
Es stirbt der Freiheit Metropole,
Rot ist die Fahn, Tod die Parole —
Jetzt ströme unser rotes Blut.”
Und ins Gewühl des wilden Kampfes
Stürzt die Regierung sich hinein.
Der Nebelhauch des Pulverdampfes
Hüllt schon die Barrikade ein.
Doch weht das Banner noch, das rote,
Bis Delescluze, erfaßt vom Tode,
Als Leiche zu den andern rollt.
Dann schreitet weiter die Brigade
Bis zu der nächsten Barrikade
Wo sich das Ringen wiederholt
Der Vendemeplatz wird noch gehalten.
Wo sonst des Korsen Schandpfahl stand,
Da sieht man jetzt des Volkes Walten —
Doch ringsum loht der rote Brand.
Nur eine einzige Kanone,
Zwölf Mann und eine Amazone
Die andern liegen bleich und starr.
So wie einst an den Thermopylen
Der Sparter beste Helden fielen,
So sinket hier der Proletar
Auf Pere Lachaise, dem Totenhaine,
Auch dorten tobt die grause Schlacht,
Es wird aus jedem Leichensteine
Ein Bollwerk für den Kampf gemacht
Die Erde bebt von Pulverschlägen,
Die toten Junikämpfer regen
Sich unten in der Gräber Schoß.
Sie fragen: „Immer noch das Morden?
Ist oben noch nicht Tag geworden?
O Volk, wie bitter ist dein Los!”
Hart kämpft man um die Tuilerien
Man stürmt sie viele Stunden lang
Bis endlich draus die Funken sprühen
Bis endlich drauf die Fahne sank.
Nun weht, erweckt vom Bombenregen,
Anstatt der Fahne wildverwegen
Die Flamme, die zum Himmel schlägt.
Sie prasselt in dem Fürstenneste,
Hat rasch die letzten Überreste
Des Kaisertums hinweggefegt.
Die Soldateska unterdessen,
Sie jauchzt vor Mordlust, haut und sticht,
Rast durch die Häuser wie besessen,
Schont todeswunde Feinde nicht.
Sagt doch, wer sind die rohen Horden,
Die Weiber selbst und Kinder morden?
Nicht die Loire-Armee ist dies?
O nein, es sind Bazaines Scharen,
Die drüben lang gefangen waren,
Man warf die Panther auf Paris.
Und weiter rast der Mord und weiter
Heiß in den Straßen dampft das Blut
Selbst manchen der Kommunestreiter
Erfaßt jetzt tierisch wilde Wut.
Es tritt das Blut ihr auf die Stirne,
Der Rebellion, der zorn’gen Dirne:
„Wo sind die Geiseln?” ruft sie wild,
„Ihr habt gemordet und verraten.
Ihr letzet euch an Füsilladen —
Jetzt schaut auch unsrer Rache Bild.”
Vernunft wird übertäubt. „Was Schonung?
Seht diese Leichen, sehet her!
Das ist der Menschlichkeit Belohnung,
Die Menschlichkeit — sie ist nicht mehr!”
Der tolle Haufe stellt die Schützen.
Halt ein! — zu spät — die Schüsse blitzen,
Die ersten Geiseln fallen schon.
Die Flintenläufe blinken wieder,
Es stürzt der stolze Bischof nieder,
Der Günstling des Napoleon.
Die Schützen sehn ihr Opfer bluten,
Und in dem nächsten Augenblick,
Umschlungen von des Kampfes Fluten,
Trifft sie das nämliche Geschick.
Ein unermüdlich Menschenschlachten —
Das Leben ist für nichts zu achten —
So hält acht Tage lang es an.
Was dann gefolgt, die Repressalien
Der Sieger blut’ge Bacchanalien,
o glaubt — das Volk gedenket dran!
Und ist es diesmal auch erlegen,
Und triumphiert die Reaktion —
Trotz bietet all den wucht’gen Schlagen
Die Macht der Revolution.
Man kann ermorden ihre Streiter,
Sie aber schreitet ruhig weiter,
Sie ist das ehrne Muß ! der Zeit.
Wer wollte dieser widerstehen?
Einst wird ihr Banner siegreich wehen,
Einst wird durch sie das Volk befreit.
Max Kegel, 1878
in Sturmvögel