Des Volkes Tochter (Das Füsilierte Mädchen)

Des Volkes Tochter, schön und jung
sie schritt mit festem Gang einher
Und bot die keusche Marmorbrust
Entschlossen dar dem Mordgewehr.

„Ihr lieben Freunde, seid gegrüßt!
Nicht euch gilt meines Zornes Wut
Euch blendet Wahn… Und dennoch floß
Auch für euch selbst der Unsren Blut

Du liebe Sonne, ach, wie strahlst
Du heut in wunderbarem Glanz!
O Kröne mich zum letzten Mal
Mit deinem lichten Freiheitskranz!

Die Eltern nannten mich Marie…
Ich halt den Namen ehrenwert
Hieß also doch das hohe Weib
Das den Erlöser uns beschert!”

Die losen Haare griff sie wild,
Gab preis der Brüste wogend Spiel
Und rief voll Schmerz: „Soldaten schießt!
Schießt hier auf ein lebendig Ziel!

Den ich geliebet, Gott sei Dank
Ich seh ihn nicht in eurer Reih
Ich sah von fern ihn im Gefecht
Ich hörte seinen Todesschrei!

Durch Bombenschauer schritt ich hin
Mich mied das dräuende Geschütz
Und jetzt, nachdem der Sturm vorbei
Erreicht mein Haupt der Rache Blitz

Im Monat Mai, da sollten wir…
Mein süßer Freund, ach, weißt du’s noch…?
Dies ist die Mauer? Wohl, legt an!
Hoch die Kommune!… Feuer!… Hoch!”

Text: Verfasser unbekannt, 1871
in: Sturmvögel (1888) — Die Pariser Kommune im deutschen Gedicht (1958)
in: “Vorwärts! Eine Sammlung….” (S. 436) — “Der sozialdemokratische Deklamator” (Zürich 1887, S. 80)