Der Tod des Rebellen

Der Morgen graut — mit bangem Zögern
Senkt sich der junge Tag herab.
Ob er wohl ahnt, daß heut die Sonne
Bescheinen wird manch frisches Grab?
Ob er von seiner düstern Schwester
Der Nacht, erfahren, was sie sah
Erfahren, daß das Herz der Erde
Paris, fast dem Verbluten nah?

Wohl muß es sein, denn tief in Falten
Die sonst so heitre Stirn er legt:
“Paris verbluten, welch ein Grauen
Wer ist’s, der ihm die Wunden schlägt?”
So fragt er noch die Nacht, die düstre
Dann ruft er selbst sich Antwort zu:
„Sie betten heut den Sohn der Arbeit
Sein Glück, sein Recht zur ew’gen Ruh.

Ja, höhnend wird es heut begraben,
Wonach gestrebt der Arbeit Sohn,
Heut wird erdrosselt die Kommune,
Ha, unterm Galgen steht sie schon.
Horch, nur ein Ächzen noch und Stöhnen,
Ein wilder Fluch und Todesschrei —
Die Henker jauchzen Siegeshymnen —
0 wär’s doch Nacht, o wär’s vorbei!”

So spricht der junge Tag des Maien
Dann zieht er sinnend seine Bahn
Indes dort an der Seine Strande
Dem Morden Einhalt nicht getan:
Das Chassepot wütet ohn Erbarmen
Und knatternd tönt sein grauser Sang:
„Freut euch, ihr Herren Kommunisten
Kopf hoch, ich prozessier nicht lang!”

Sie, die gekämpft fur ihre Ziele
Der Freiheit und der Arbeit Heim
Sie, die mit ihrem Herzblut tränkten
Der bessern Zukunft Lebenskeim
Vieltausend nun gefangen schreiten
In Fesseln sie zum Richtplatz hin,
Wo bald, verhüllend ihre Leiber
Die grauen Pulverdampfe ziehn.

Jetzt kommt auch dort die breite Gasse
Gemessnen Schritts ein Trupp herauf
Und Todeskandidaten sind es
Bald stehn sie vor der Flinten Lauf
Ob jung, ob alt, ‘s gibt keine Gnade,
Sie flehn auch nicht, trotz aller Not
Sie wissen, daß die Ordnungsschergen
Sich letzen gern am Blute rot

Da plötzlich, als zum Aufmarschieren
In Todesreihn schon kommandiert
Schallt eine Stimme herzzerreißend:
„Weh, weh, nun wird er füsiliert!”
Und aus des nächsten Hauses Pforte
Stürzt flugs ein junges Weib hervor,
Ein blasses Weib, auf schwachen Händen
Hält zitternd sie ihr Kind empor.

„Sieh dort den Vater! Ach zum Sterben
Zum Sterben ruft der Offizier —
Das kann nicht sein, komm Herz and eile
Den Vater retten du mit mir!
Hier, sieh den Vater, hier, o sag ihm
Schnell mög er mit uns heimwärts gehn!”
Da droht des Kommandanten Stimme:
„Hinweg, sonst ist’s um euch geschehn!”

„Nein, nein, ich will and kann nicht lassen
Von ihm, der Böses nie getan”,
So ruft das Weib in treuer Liebe
Und bricht sich zu dem Gatten Bahn
Dann folgt ein inn’ges Herzen, Küssen —
Sie hebt das Kind auf seinen Arm —
Ein Traum des Glücks, aus dem erwachen
Sie nimmer sollt zu neuem Harm.

Die Salve kracht — es liegt getötet
Das treue Weib in seinem Blut
Der Gatte auch, er liegt im Sterben
Der Schergen Kugeln treffen gut!
Nur einen haben sie verschonet —
‘s ist des Rebellen junger Sohn —
Oh, wenn der einstens groß geworden
Dann zahlt er dafür gern den Lohn!

Ein schrecklich Bild dem Blick sich zeiget,
Ob es wohl je nach Rache schreit?
Der Sieger mag dies selbst entscheiden,
Er, der sich ganz der Rache weiht,
Er, der noch heut die besten Männer
In Fesseln schleppt zum Richtplatz hin,
Wo über die erschoßnen Leiber
Nun graue Pulverdämpfe ziehn.

August Geib, 1874